Die entkommende Gemeinschaft

Stadion 2 (Foto: Lena Sudmann)

Vortragsvideo mit Ausschnitten aus Filmen der Filmografie.

 

Als Filmtheoretiker, der über Fluchtpolitik reden wird, habe ich mir unlängst Filme angeschaut, die den Tagungstitel „escape“ in ihrem Titel tragen. Ausschnitte aus solchen Filmen, die ‚irgendwas mit Escape‘ heißen, lasse ich stumm und langsam mitlaufen, damit wir nicht mit meinen flüchtigen Worten allein sind.

 

Die Theorie-Rede und das Mitlauf-Bild, da klafft ein Loch, und das ergibt sicher keine Film-Theorie. Vielleicht zwei heterogene Serien jeweiliger Sammlung von Bildern bzw. Begriffsbildern, auf denen irgendwie ‚escape‘ drauf steht, auch drin ist, und die uns zum Ent-kommen etwas Denkbares zu-kommen lassen. Was ich in meinem Vortragstitel Filmtheorie nenne, ist ja zum einen vermutlich alles andere als das. Sie werden sagen: Das sind ja nur Ausspinnungen von Gedanken einiger Pariser und Wahlpariser und Frankfurter Meisterdenker zum Film. Dann aber also doch Filmtheorie: Die Ergebenheit der Filmtheorie gegenüber solchen Großdenkweisen hatte immer auch ihre Offenheit zur Kehrseite (und vice versa).

 

Filmtheorie nun aber nicht ausgebaut zum Modell; also verabschieden wir uns von dem Gefängnisgebäudemodell in Don Siegels Escape from Alcatraz – Flucht von Alcatraz (USA 1979). Eher ‚FilmTheoria‘, wie sie die Frankfurter Kino-Denkerin Heide Schlüpmann nahelegt, die einst, wie sie gern sagt, als Schülerin von Adorno und Bloch aus der Philosophie ins Kino ausgezogen ist, um dann doch etwas, das die Philosophie sich leicht nehmen lässt, im Kino zu finden: Fragen einer Moralität (nicht Pflicht-Ethik) von Leben unterm Neoliberalismus, von un-mannhaften Leben in Massen, in einer Erkenntnisfähigkeit, die am Wahrnehmen, nicht an Wahrheitsideen, hängt1. „[D]ie Filmaufnahme abstrahiert die Erscheinung der Wirklichkeit von der Wirklichkeit selber. Sie wiederholt den Abstraktionsprozess im Aufstieg des Theoretikers zu den Ideen.“ Dort aber kommt sie nicht an: „Die Theoria aber ist der Abbruch dieser Bewegung, nicht der Durchgang zu den Ideen.“2

 

That means you, Alain Badiou! Verabschieden wir uns hier auch gleich (bis zu einer anderen Gelegenheit) von Badious Sicht aufs Kino, die auf Treue zum ideellen Wahrheitsereignis der Kunst zielt und auf Reinigung bis hin zur Philosophietauglichkeit, auch von seiner Tapferkeit, die nur Pflicht zum Weitermachen kennt, keine Flucht, und die vielleicht deshalb am Kino gerade das Fortbestehen alter Helden- und Gut-Böse-Figurationen als dessen wesentliche ethische Leistung wertschätzt 3. Lonely are the brave. Verabschieden wir uns mit diesem Bild einer veritablen Meisterbeziehung aus John Sturges‘ Western Escape from Fort Bravo – Verrat im Fort Bravo (USA 1953).

 

Gleich geht’s los; gleich geht’s ums Los-Werden. Vorher muss ich noch eine Anekdote loswerden: In einem der Filme mit ‚escape‘ im Titel, Carpenters Escape from L.A. (USA 1996), gibt es einen Che Guevara nachempfundenen Latino-Anführer der zum Auszug aus der Gefängnisstadt Versammelten. Er ruft den Eingesperrten zu: „No matter where you come from, no matter what color your skin: We’re all one raza – the raza of the opressed!“ Die englischen Untertitel der DVD übersetzen das hispanische ‚raza‘ mit ‚Russia‘. Zu lesen steht: „We’re all one Russia of the opressed!“, also quasi „ein Russland der Unterdrückten“. Damit markiert der Fehler in der Untertitelung als vorauseilend-verräterisches Symptom an Carpenters libertärer Anti-Politik ein residuales Ideologem. Leute meines Alters kennen das noch aus dem Kalten Krieg Version 1.0: Geh doch rüber nach Russland, wenn’s dir hier nicht passt. (Anders als das heute Gérard Dépardieu tut, also nicht etwa aus Steuerschonungsgründen.) Im Bild dazu ein Rübergehen in die ‚andere‘ Richtung (‚Rübermachen‘ in den Westen, wie es damals hieß) aus Robert Siodmaks Cold-War-Drama Escape from East Berlin – Tunnel 28 (USA/BRD 1962). Zum Losgehen ins Loswerden also ein Riss im Wissen: zwischen dem Hörbaren der ‚raza‘ der Unterdrückten, die das Teilen von Exklusionserfahrungen zwiespältig ins Ethnische übersetzt, einerseits – und anderseits dem Lesbaren vom ‚Russland der Unterdrückten‘, der institutionellen sowjetischen Gegenmacht zum Globalkapital, zugleich aber auch Bürokratie und Gulag. Die Kluft zwischen ‚raza‘ und ‚Russia‘ ist eine mögliche Kontur für das Verlaufsfeld der hier folgenden Film-Fluchten.

 

So. Jetzt tabula rasa. Am Anfang steht eine Antwort, und sie fragt nach der Frage. Wie in der Formel von Thomas Elsaesser, die sinngemäß lautet: „Frage immer: Was ist die Frage, auf die dieser Film eine Antwort sein will?“ 4 Die Antwort wird eine Frage sein, wie im Fernsehquiz. Das lässt sich mit etwas Fluchthilfe erweitern zu: Was ist die Frage, auf die ‚Film insgesamt‘ eine Antwort sein will? Bei Gilles Deleuze, für den ja die Antwort schon im konsequenten Stellen des Problems impliziert ist und mit dem meine Eskapade beginnt, sind es zwei Fragen – es gibt ja auch zwei Kino-Bücher von Deleuze. Beide Fragen erlauben es, entkommende Gemeinschaften anzupeilen. Erste Frage: „Wie uns von uns selbst lösen?“ Zweite: „Was ist der subtile Ausweg?“

 

Frage eins gilt einer Lösung, die Lösung von uns selbst heißt. Deleuze stellt sie in seiner bergsonianischen Onto-Mythologie des Bewegungsbilds: „Wie uns von uns selbst lösen, wie uns selbst loswerden?“ 5 Auf diese Frage ist Film die Antwort. Und zwar nicht erst als ‚zeitbildhaft‘ entwickelter Nachkriegsfilm, sondern schon in seinen rein bewegungsbildlichen Ur-Anfängen, von denen Deleuze ein nachgerade mythisches Bild entwirft: Am Anfang war das Licht, nur das Licht … bis der Mensch kam, Hautausschlag der Erde, mit seinen Intentionen und ressentimentalen Moralen, seinem Bewusstsein, das nichts als empfindliche Platte ist und platte Empfindlichkeit, an der das Licht sich bricht und ausgeht 6.

 

Deleuze formuliert die Fluchtfrage nach dem Sich-Lösen vom Menschen als rückwärtsgewandte Eschatologie, als Verlusterzählung, vorgetragen vom Film. Film bleibt, so Deleuze, irreduzibel rückgebunden an einen zentrums- und formlosen Zustand, in dem alles Licht gleich Materie in unaufhörlicher Bewegung ist. Von dort, so Deleuze, kommt Film her, von dort – nicht von der Sprache oder Intention – bekommt er seinen Sinn, den er nie ganz verliert. Der Sinn ist: immer wieder bildlich nachzuweisen, was ‚Sache‘ ist, nämlich ‚Lumière‘. Dasselbe etwas anders gesagt: Das Licht ist in den Dingen und nicht in uns 7.

Im Zusammenhang dieser Rede tauchen auch die heute wieder gern aufgelegten deleuzo-guattaristischen Evergreens vom Filmbild als ‚Fluchtlinie‘ oder ‚Deterritorialisierung‘ kurz auf. Mindestens so psychedelisch wie das, was im Anti-Ödipus steht, ist der Ur-Suppen- und Ur-Licht-Mythos, aus dem heraus Deleuze den Film vom Menschen absetzt. Aber da ist ein Unterschied: In Abweichung zum antiödipalen Aufbruchspathos ist Deleuze‘ Kosmologie des Films ein Cosmic Blues, etwas melancholisch – dies im z.B. tedjasukmanischen 8 Sinn von Melancholie als ‚Kritik‘, hier wohl als nahezu kantische Kritik eines legitimen, nicht-intentionalen Gebrauchs des Lichts; aber auch im Sinn der Rückprojektion eines verlorenen Zustands der Reinheit, der eine Haltung der Demut einfordert, sowie eine Verbundenheit, die im Allgemeinen Religion heißt. „Es handelt sich darum,“ schreibt Deleuze religiös, „die Welt vor dem Auftreten des Menschen, vor unserer eigenen Dämmerung wiederzufinden …“ 9 Loswerden unserer selbst als Wiederfinden der Welt vor dem Aufgang der Menschen: Um das ein wenig von der Licht-Metaphysik in Richtung Geschichte, Technik und Kubrick zu verschieben, läuft dazu Escape from the Planet of the Apes – Flucht vom Planet der Affen (Don Taylor, USA 1971). Vor dem Menschen ist das kosmische Kino – oder ‚the ape‘ als ‚Esc-Ape‘.

 

„Wie sich von sich selbst lösen?“ Mit dieser Frage markiert Deleuze, zeitgleich zu den Kino-Büchern, in seinem Foucault-Porträt einen Problempunkt: Schließt Foucault sich nicht in seiner Theorie der Macht ein, gibt er nicht das Subjekt ganz jener Unterwerfung preis, die mit ’subjection‘ bezeichnet ist? 10 Müsste er nicht von diesem unterworfenen Selbst sich lösen, um etwas Subjektives als Brennpunkt von Widerständigkeit zurückzugewinnen? (Etwas, das dann heißen wird: Subjektivierung im ethischen Selbstverhältnis 11.) Das Schema lautet: Wird Macht allumfassend, geht ein Fluchtweg in Richtung Ethik. Das Schema gilt für Deleuze‘ Blick auf Foucault wie auch aufs Kino. Im zweiten Kino-Buch taucht der Kontext der Frage nach dem Sich-von-sich-Lösen (und das ist ja schon ein Sich-zu-sich-Verhalten) wieder auf. Der Kontext heißt: Ausweg aus der Machtdurchdringung ins Ethische. Die Frage ist nun so formuliert: „Was ist der subtile Ausweg?“ 12

 

Ausweg wohin? Woraus? Aus einer Allmacht, zumal einer perfiden Ironie. Die sieht so aus (Deleuze sagt das nicht explizit, aber die Verwendung gleicher Termionologie legt es nah): Dieselbe Formgebung, durch die Film befreiend wirkt, wird zur Macht, die die Welt unentrinnbar formt. Der gemeinsame Terminus ist ‚Modulation‘: Modulieren ist, was das Filmbild mit der Welt macht und was das Regieren in der Kontrollgesellschaft, im postfordistischen Kapitalismus, mit der Welt macht – nämlich an der Veränderlichkeit der Welt ‚dranbleiben‘ und als seinerseits flexibel veränderliche Formung Formen zu bilden, Bilder zu formen 13. In dieser Denkfigur hallt etwas von der ambivalenten Einschätzung kapitalistischen Fortschritts als einer Befreiungs- und Unterwerfungsdynamik nach, die von Marx über die messianische Kritik bis zum Deleuzomarxismus reicht.

 

In seinem Zeitbild-Buch zieht Deleuze die Sache als Plot-Point auf – als Aha-Effekt, schockartiges Erwachen aus einem Zustand, der uns, so merken wir nun wie in einem Mindgame-Film, schon lange gefangen hält. Es geht ums Bedrohliche von Mabuses Macht am Monitor: Bedroht ist alles, was am Film-Bild befreiend wirkt, durch das Regime des elektronisch gesteuerten und steuernden Sichtbaren 14. Das wurde oft als televisiophober Verfallsdiskurs nachgebetet. Aber ganz so einfach gibt es Deleuze nicht, denn: Die Frage nach dem Ausweg wird dringlich angesichts schon des ‚Films‘ – der Alldurchdringung durch ebenjene bildförmige, formbildende Macht, die einmal Befreiungs- und Erkenntnisverheißung war, nicht nur für Deleuze. „Die Welt kommt uns als ein schlechter Film vor“ oder „Die ganze Welt macht Kino“ bzw. „Die ganze Welt führt sich auf“, so lauten seine Formulierungen 15. Quasi: Film regiert die Welt – und das ist das Problem. Wenn uns das an Spektakelgesellschaftskritik (mit ihrer Phobie gegen Bilder) erinnert: Deleuze hält, wohlgemerkt, viel aufs Bild, sonst hätte er ja seine Differenzphilosophie nicht in zwei Kinobücher übersetzt. Was ist und wohin geht nun der subtile Ausweg?

 

In etwa so: Wenn wir nicht mehr an die vom Film geformte Welt im Welt-Bild glauben, dann muss das Film-Bild selbst Kathedrale eines Glaubens werden – Glaube woran? Nicht an eine andere, bessere Welt, so Deleuze, sondern: an die Welt, wie sie ist; an das fragile Band zwischen Mensch und Welt; ans Fleisch. Das sind aber jeweils verschiedene Dinge, an die geglaubt werden soll, und da drängt sich der Eindruck auf, Deleuze gehe es vor allem um Gläubigkeit schlechthin, ums Glauben an den Glauben. Im Zweifel für den Glauben, könnten wir in Abwandlung eines Tocotronic-Titels sagen. 16 Für die wiederzufindende Frömmigkeit oder Glaubensgewissheit zieht Deleuze dann den etwas weniger religiös beladenen Begriff Ethik heran 17; aber es läuft aufs selbe hinaus: auf Ethik als eine Haltung der Demut. Deren bildliche Form ortet Deleuze etwa im katholischen Neorealismus von Rossellini.

 

Der Ausweg in den Glauben an die sich der Bild-Formung entziehende Welt geht einher mit dem Ausweg in ein ethisches, demütiges Verhältnis zu sich selbst. Und so gelangt Deleuze wieder zur Frage nach dem Sich-selbst-Loswerden qua Bewegungs-Bild: die ethische Beziehung als ein Sich-Lösen von dem, was uns innig an die hegemoniale Macht bindet. Diese Ethik ließe sich politisieren – allerdings mit einigem Aufwand: Wir müssten erstens, im Widerhall mit dem späten Foucault, von Glaubensfragen übergehen zu einer Existenzethik der Selbstentfremdung und diese dann als eo ipso Widerstand, sprich, Politik, kurzschließen. Wir müssten zweitens, wie es Deleuze andeutet, die Menschen-Form, vor der es das reine Licht der Welt zu retten gilt, kurzschlüssig gleichsetzen mit dem westlichen Kolonialherrensubjekt und was davon in uns ist, also einen nietzscheanischen Ekel vor dem modernen Feind des Lebens hegemonietheoretisch wenden. Beides ist schwer. Aus einer Ethik, die sagt: Mach das Filmbild zum Altar gläubigen Sein-Lassens der Welt, wird so leicht keine Politik. Eher bleibt das stecken – in Exerzitien der Selbstgeißelung oder (um das Steckenbleiben im Feld des Films aufzuspüren) im Demütigen des Subjekts moderner Selbstbehauptungsintention; diese Demütigung vollziehen diverse glaubensgläubige Neorealismen notorisch an der unterstellten Hybris von unmütterlichen Frauenfiguren. (Das schwingt bei einigen von Ingrid Bergman gespielten Figuren mit, die bei Rossellini jeweils radikale Erfahrungen des Gebrochen-Werdens machen.)

 

Wie gesagt: Deleuze‘ filmphilosophischen Fluchtgedanken eignet hier etwas Restauratives; zumindest bergen die Hingaben ans Offene und ans Außen ein Rückerstattungsphantasma. Wir können das wohlwollend sehen, indem wir eine Parallele zu Stanley Cavell 18 anreißen: Film projiziert eine Welt, in der wir nicht sind und die unserem Zugriff entzogen ist, und diese Flucht der Welt vor uns qua Film wird Voraussetzung einer innigeren, reflektierteren Verbindung mit der Welt, die sich auch dem stellt, was in der Welt strittig ist. Das käme – Cavell mit Deleuze‘ Glaubensband-Ethik zusammendenkend – einer remarriage mit der Welt gleich: einer Wiederverheiratung, gestiftet durch Erfahrung, nicht durch eine als Prinzip vorausgesetzte Form. Von jener Art Rückerstattung, die ein selbstverwirklichungssinniges Subjekt zugleich beschämt und beschenkt, handelt ein bekannter remarriage-Song von Rupert Holmes aus dem Jahr 1979, der so heißt wie diese Tagung, nämlich The Piña Colada Song im Volksmund, mit Klarnamen allerdings ‚escape‘: „If you like Piña Coladas/Or getting caught in the rain … I’m the love that you look for/Write to me and escape!“

 

Wir können das aber auch kritisch sehen – wie Jacques Rancière in seinen Texten zu Deleuze, zumal zu Deleuze‘ Versuch, die Politik eines kommenden, organlosen Volkes auf ästhetische Erfahrungen zu gründen. Das Volk fehlt hartnäckig, und Deleuze‘ Anrufung aller möglichen Träger_innen freigesetzter Vitalität führt nicht zu dionysischer Demokratie, sondern nur zur Geringschätzung jeweils konkreter historischer Instituierungen kollektiver Gleichheit: So lässt sich paraphrasieren, was Rancière Deleuze vorwirft 19 (und worin er sich eh auch gleich selbstkritisch bei der eigenen Nase nehmen könnte, die er seltenheitsaristokratisch rümpft vor dem, was häufig als politisches Handeln auftritt und in seiner Sicht ebenfalls jeweils als defizitär gilt 20).

 

Zweierlei Fluchten im Sinn von Ausfluchten stellt Rancière an Deleuze fest – an einem Deleuze, der (so sieht es Rancière) in die Sackgasse gerät, wo Abgründigkeitsästhetik nicht in Politik mündet. Zum einen ist da die Verselbständigung der Enteignung der Enteigner: Weil sich die Gemeinschaft, auch die Glaubensgemeinschaft, entzieht, wird die immer neue ‚Kreuzigung‘, Lähmung des intentional handelnden Subjekts zum Selbstzweck – Deleuze‘ hitchcocksche Erstarrungen und neorealistische Aktionskrisen 21. Zum anderen, so Rancière markant am Ende einer Deleuze-Kritik, will eine bestimmte Absetzung, die Deleuze so wichtig ist, nicht und nicht gelingen – die Trennung nämlich zwischen einem Nomadismus der Vielheiten einerseits und der flexiblen Mobilität des Diversity-Management-Kapitalismus anderseits. Dieser Unterschied wird immer wieder unterlaufen, also schmeißt Deleuze gelegentlich mal den ganzen neoliberal kompromittierten Deterritorialisierungskrempel hin – oder, wie Rancière es ausdrückt: Er lässt sein Befreiungsdenken gegen die Wand fahren 22. Deshalb sehen wir den Aufprall eines rasenden Autos, samt Gabu Heindl-Lookalike Adrienne Barbeau, in John Carpenters Escape from New York – Die Klapperschlange (USA 1981).

 

Was für Fluchtpolitik kommt ’nach‘ Deleuze? Es gibt mindestens zwei Stränge politiktheoretischer Anknüpfung an Deleuze, die dem Film einen gewissen Stellenwert einräumen: ein Denken der Multitude und eines der Demut, der Humilitude 23. Der Multitude gilt der Deleuzomarxismus der Postoperaisten – Hardt und Negri, Lazzarato, explizit unter der Überschrift „Exodus“ bei Paolo Virno 24. Der betreffende Gedanke geht sinngemäß so: Wenn der Kapitalismus modulierend geworden ist, nicht länger disziplinierend; wenn der Ort der Wertschöpfung sich von der Fabrik aus über das zeitliche, räumliche, soziale Ganze des Lebens ausgestreut hat; wenn die formgebende Macht als Bio-Politik quasi filmisch geworden ist – dann sollten wir das nicht so schnell als Ausweglosigkeit abschreiben wie Deleuze, der sich gleich in den Glauben flüchtet. Dann sollten wir darin Chancen für eine neue Politik sehen, die dem Kapitalismus das Modulieren von Intensitäten, von schierer Lebendigkeit, direkt streitig macht – nämlich ohne den Umweg über Formen der Repräsentation qua Tauschwertabstraktion oder Staat, stattdessen in Prozessen nomadischer Selbstverwertung und kreativer Eigenproduktion von sozialen Beziehungen. Diese Theorie beinhaltet den Appell an die Lebensformpolitik neuer sozialer Bewegungen nach ’68, ganz zentral an die massenweise Desertion aus dem Regime von Fabrik und Büro oder der durchgängigen Lohnarbeitsroutinebiografie. Mit dieser Hochschätzung von Widerständigkeit als Primärproduktivität, auf die Staat und Kapital lediglich ‚reagieren‘, geht allerdings ein mehr oder minder expliziter Ökonomismus einher, und da kommen Film und Kino ins Spiel. Film und Kino figurieren in diesem Diskurs als ein Vorbild postfordistischer Formung von Zeit als Veränderung, mithin als Vorbild jener ‚affektiven Arbeit‘, die Empfindungen produziert und ihr Modell in Gesundheitsdiensten und der Unterhaltungsindustrie hat 25 (da ist Kino quasi ein ‚Ho-Spital‘) 26. Desgleichen sind Film und Kino in ihrem Modellcharakter impliziert in dem multitudentheoretischen Gedanken, wonach virtuose Kommunikation, wie sie vormals Sache der Kulturindustrie war, heute im Ganzen der immateriellen Produktion aufgeht: Was einst begrenzte Domäne insbesondere der kinoindustriellen Formung war, eben virtuos zu kommunizieren, das eignet nun generell einer Produktion, die sich auf das Unberechnete, zumal auf Wahrnehmung durch andere, hin ausrichtet – worin ein genuin politisches Moment dieser virtuositäts- und kommunikationsgesättigten Produktion liegen soll 27.

Während Deleuze quasi den Hut draufhaut und fromm wird, ist hier die Bereitschaft hoch, einer Ambivalenz im Kapitalismus zu vertrauen: darauf zu vertrauen, dass das Kippbild, das den Kommunismus als bereits im Kapitalismus impliziert zeigt, auf die richtige Seite kippen wird; darauf zu vertrauen, dass Nomadismus von Zwangsflexibilität und multitudinale Kreativität von Selbstunternehmertum, Lifestyle-Pioniergeist oder Premium-Service unterscheidbar ist (oder werden wird). Der Punkt dieser Unterscheidung ist konzeptuell schwer auszumachen. Er ist zumal kein konfliktuöser Punkt, kein Streit-Punkt; Streit und konfliktuöse Politik entfallen, wenn Politik als so sehr durch virtuose Selbst-Aufführung bestimmt und dem Exodus immanent gedacht wird, also als genuin ziellos, aufgehend in der Flucht als Selbstzweck bzw. Benjamin’sches reines Mittel 28, Bildung von Sozietäten als positive Lebensformen im Auszug. Die Frage ist, welche Politik dann aber jene machen, die nicht kreativ sind: Bleibt ihnen nur die Teilung einer existenziellen Prekarität und Verletzlichkeit zur Gemeinschaftsbildung (wie dies bei Judith Butler anklingt)? 29 Und muss ich nicht, wo das Occupy- oder Refugee-Camp räumlich und zeitlich endet, in die Unreinheiten und Fremdvorgaben von Repräsentationsspielen und -kämpfen eintreten?

 

Letztlich ist solch Bestürmen und Besetzen gegnerischer Stellungen und kompromittierter Bezeichnungsorte ein Terrain, in dem sich ja der multitudinale Diskurs selbst situiert, offensiv und reflexiv zugleich, wenn mensch etwa jüngeren Überlegungen von Gerald Raunig nachgeht: Da ist zum einen das Streitigmachen eines Labels, die Rekuperationsgeste, die sagt: Moment, die Kreativindustrie, das sind nicht die 24/7 arbeitenden Kommunikationsdesigner_innen, das sind wir! Und zugleich die Bereitschaft, einen Deleuze’schen Begriffsschatz, der lieb und teuer geworden ist, fahren zu lassen, bevor er (wie Rancière ätzte) „gegen die Wand fährt“: nämlich die Emphase der Deterritorialisierung zurückzufahren und, entgegen der alten rhizomatischen Fluchtlinieneuphorie, Praktiken der Re-territorialisierung und Neukerbung von Zeiten und Räumen starkzumachen – zumal angesichts dessen, wie entgründet und glatt das Parkett des freien Kapitalverkehrs und freien Dienstvertrags ist 30. Zu sehen ist dazu das Zerrbild, Kippbild, Spielfilmbild einer rebellischen Multitude als Freakteam, das eigensinnig, virtuos, kontingenzsensitiv am massenausbruchsförmigen Exodus aus aufgezwungener Lagerdisziplin werkelt. Ein Prisoners-of-War-Flucht- und Kriegsfilm mit All-Star-Cast im „Stalag“ benannten Nazi-Gefangenenlager: The Great Escape – Gesprengte Ketten (ebenfalls von John Sturges, USA 1963).

 

Das bringt uns zur Fluchtpolitik der ‚Humilitude‘ bei Giorgio Agamben, mit Direktbezug auf Deleuze‘ Filmtheorie. Agamben sieht Film als der Ethik und Politik zugehörig. Warum? Weil das Filmbild Geste ist: Es entblößt, was an uns unintentional, automatisch, unangeeignet ist. 31 Film zeigt uns als bloßes Leben und als beliebige Existenzen, mithin im Vorgriff auf eine noch ausständige Gemeinschaft, in der bloßes Leben sich annehmen und Lebens-Form geben könnte 32. Auf Agambens ‚kommende Gemeinschaft‘ beliebiger Singularitäten, die weder Individuum noch Allgemeinheit kennt, spielt der Titel meines Texts an. Aber wie das schon so ist: Je reiner die Politik, je paradiesischer die Gesellschaft, die da kommt (oder auch nicht), desto mehr eignet sie sich als Kehrbild eines Jammertals, in dem Agamben die nackten Leben gegenwärtig schmachten sieht, egal ob auf demokratischer Autobahn, im nazistischen Lager oder im klinischen Koma 33. Die Politik, die da einen Unterschied bewirken könnte, muss Sache der Theologie bleiben, Ausnahme, die beschworen, nicht gemacht wird, katastrophaler Umschlag, nicht Revolution. Was Agamben Politik nennt, ist eine Ethik ohnmächtiger Demut im Zeichen der Bloßgestelltheit als Kreatur. Und noch seine Ausstreichung der Erlösungsperspektive behält im Fluchtpunkt nichts weniger als eine Gnade, die den bloßen Leben zuteil werden kann. Gnade wird zuteil – so wie im Blick des Kinematografen den Bresson’schen Modellen in ihrer unfreiwilligen Ausdrucksfülle: Erst im Ethos der Preisgabe aller expressiven Intention wird sich so etwas wie Seele einstellen, nämlich als schieres Symptom. Dazu noch ein Filmclip über Flucht aus Nazi-Gefangenschaft (hier ist es ein Mann der Résistance): Robert Bressons Un condamné à mort s’est échappé – Ein zum Tode Verurteilter ist entflohen (F 1956).

 

Hier aktivistischer Übermut im Exodus; da passivistische Demut in einer Entblößung des Beliebigen, die Agamben u.a. beim Siegfried Kracauer der 1920er Jahre vorgedacht sieht 34. Was kann es bringen, sich hier auf Kracauer zu berufen?

 

Nehmen wir beides zusammen, Exodus und Kracauer – heraus kommt einer der Fluchtgedanken, die Kracauer am Schauplatz des Kinos, im Medium des Films als Paradigma massenkultureller Erfahrung formuliert hat: Das Massenornament, die bewusstlos eigentätige Konfiguration beliebiger Dividuen – in der Revue, im Sportstadion, im Kino, es zeigt uns (akkusativisch formuliert); das Ornament der Masse zeigt unser soziales Leben in einem Übergang, der der Ambivalenz der Kapitalisierung von Leben entspricht; es zeigt uns im ‚Auszug‘. Auszug woraus und wohin? „[A]us der schwellenden organischen Pracht und [der] individuellen Gestalthaftigkeit“, schreibt Kracauer 35. Auszug wohin? Die „gültige Organisation“ der Teile und Anteile bleibe unbekannt, unbenannt, so Kracauer mit Blick auf Photographie (in dem so benannten, fast zeitgleich erschienenen ‚companion piece‘ zu „Das Ornament der Masse“) und Film als Weisen, die Wirklichkeit in immer neuer Aufteilung immer neu sortiert abzulegen 36. Dass von einer kommenden ‚gerechten‘ Anordnung nur eine Ahnung vorscheint, das macht die immer neue Verteilung möglich: Den Messianismus ohne Positivverheißung teilt Kracauer mit Momenten in Jacques Derridas Dekonstruktion 37; der Aufschub zugleich als Schub zur Bestreitung ungerechter Ordnungen (etwa von Schubhaft-Regimen in Schengen-Europa).

 

Wohin geht der Auszug aus dem Organischen und Individuellen, auf das sich Kapital und Nation auch heute noch gern grundhungrig berufen? Wie die Gerechtigkeit aussieht, wissen wir nicht; Paradiesseligkeit fällt also schon einmal weg. Wir wissen auch nicht, was die Masse sein oder gewesen sein wird, die ihre Ordnungen, An-Ordnungen, hervorbringt, halbblind und zugleich hellsichtig. Wir wissen nicht, was eine Masse vermag: Da ist Kracauer nah bei jenem deleuzeschen Spinozismus, der Kräfte gerade in ihrer Unbestimmtheit, Ungeahntheit beschwört. Zumal Kracauers Messianismus sich von Anfang an selbst aushebelt zugunsten einer diagnostischen Aufmerksamkeit auf Öffnungen, die sich in der an die Kapitalrationalität verfallenen Welt zeigen: auf Momente von Sinnbildung, Einsicht, Solidarität. Massenhaft zerstreutes Leben, das sich seine Formen gibt (anstatt sich den überkommenen Formen des Besitzbürgertums anzugleichen), sieht Kracauer nicht mit Verachtung und meist auch nicht im Überschwang.

Wenn er schreibt, die zerstreute Wahrnehmung sei der Wahrheit nahe, weil sie den Zerfall nicht überdeckt 38, dann hat diese Wahrheitsfähigkeit zunächst etwas von – schlüpmanisch gesagt – hellsichtiger Ein-Bildung unserer selbst ins Unechte, Unganze, Eigentumslose 39. Vergleichbares mutet uns heute etwa ein queer gewendeter Proletarismus und Prekarismus an. Kracauers Positivbesetzung von Zerstreuung kommt, anders als Benjamins späterer Rekurs darauf, ohne einen produktivistischen Appell ans polytechnische Lernen aus, weitgehend auch ohne Sensualismus und Pathos des Bild-Schocks als gründend-waltende Gewalt. Kracauer zielt auch nicht wie sein anderer Freund Adorno auf die Kunst und muss daher auch die Massenkultur nicht in deren Weichbild sehen. Und anders als der Utopiker Bloch, mit ‚Krac‘ gut befreundet auch er, macht er sich wenig Hoffnung aufs Kreative oder auf Phantasie als logischer Vorbote der Revolution, auch nicht auf unerschlossene Adern im Vergangenen, die als geschichtlicher Goldschatz ungleichzeitiger Vorausweisung zu bergen und rekuperieren seien 40. Bloch denkt die Welt nicht als strittig oder aus Widersprüchen heraus, sondern, wie Jürgen Habermas einmal monierte, als „trächtig“ 41; sein Zug zur Fülle inkludiert auch Claims auf Tracht und Tradition.

 

Das nicht und das nicht und jenes auch nicht … Aber Kracauer ist kein Nihilist oder Negativist, im Gegenteil. Vielmehr wurde er bis vor kurzem vielfach und wird er heute noch mitunter als theoretisches Leichtgewicht eingeschätzt, gerade weil er ‚zu viel‘ am Film und im Film und durch Film gesehen hat. Etwa ‚Bildungsstandorte with a difference‘, verzeitlichte Orte von Form-Bildung, bei Kracauer notorisch im Slapstick oder in diversen Versionen von Neorealismus als Bild-Formen eines Andauerns der Zerstreuung, eines Abdriftens, einer Ein-Bildung ins Beliebige. Dafür steht – vielmehr: stottert – dieser Clip aus einem kurzen Roadmovie, das schlicht so heißt wie diese Tagung: Escape von Rosa Hannah Ziegler (BRD 2011).

 

Allerdings: Wie diesem Film geht es auch Kracauer nicht ums Ausbreiten eines nomadischen Idylls, das allem liebevoll gerecht würde. Vielmehr stellen sich da, oft unvermutet, Macht-Fragen. Dass Kracauer diese Fragen nicht sehr oft in Antworten ausinstituiert, unterstreicht letztlich gerade jene Momente, in denen er ebendies doch tut – und etwa Lenin als großen Realisten würdigt (zumal unter Antizipation eines Schlüsselbegriffs seiner späteren Film- und Geschichts-Erfahrungstheorie) 42. Jedenfalls: Die zwei Mädchen in Escape flüchten am Filmende – nachdem sie in ihrer zerstreuten Suche nach nichts weniger als Streit einen Typ an einer Tankstelle brutal verprügelt haben – ohne großen Grund, also vielleicht zurecht. Kracauers Kino ist Zerstreuung der Wahrnehmung als Wahr-Nehmung der Zerstreuung. Ein Für-Wahr-Nehmen als Haltung des Wartens. Dem Warten prägt Kracauer irgendwann das paradoxale Label ‚aktive Passivität‘ auf. Das allerdings ist kein stiller Adventismus, der die Handlungshemmung feiern und den Messias machen lassen würde. Die Blöße der Passivität ist auch nur noble Blässe, ein Im-Reinen-Bleiben. Ebenso aristokratisch und eben elitär aber ist die Emphase des ‚reinen Akts‘, der die Wahrheit will und dem dann doch ein gewisser Ekel vor dem Alltäglich-Unwahren wichtiger wird als das Wahrnehmen sozialer Machtverhältnisse und der Chancen und Spielräume darin. Das meint jetzt noch einmal Badiou 43. Badious Begeisterung für Chaplins Tramp-Filme – Slapstick als Roadmovie – ist recht ähnlich formuliert wie die von Kracauer achtzig Jahre zuvor. Badious „generische Humanität, jenseits all ihrer Differenzen“ 44 – bei Kracauer hieß das: „Die Frage ist: was noch übrig bleibt, wenn die Merkmale fortfallen, durch die sich die Menschen gemeinhin erst in bestimmte Menschen verwandeln. Übrig bleibt bei Chaplin der Mensch schlechthin, oder doch ein Mensch, wie er allerorten zu verwirklichen ist.“ 45 Auch Kracauer schreibt da von Wahrheit – im „Ornament der Masse“, dem Begleittext zu seinen Chaplin-Rezensionen (um das Gewichtungsverhältnis dieser in etwa zeitgleich verfassten, ähnlich operierenden Texte Kracauers einmal umzukehren): Auszug in eine ‚Anonymität‘, die ‚in der Wahrheit steht‘, in Auflösung von Kontur und Substanz. Was jedoch zählt, ist, dass solches Hindurchleuchten von Wahrheit, eben durch die Formen der Ideologie und Repräsentation, nicht zu haben ist ohne Durchgang durch Hegemonie. Die Wahrheit hat Zeit, was bleibt, ist Streit, Streit im Bild.

 

„[…] daß das Ohnmächtigste die Welt bewege“: Dazu sieht Kracauer den Tramp immer wieder anlaufen (und scheitern). Und er nennt Chaplin, der kein Ich hat und nichts repräsentiert, „ein Loch“ 46. Das Loch bezeichnet den Ort, den Anteil, der sozial zugewiesenen Ohnmacht. Bei Kracauer kehrt es immer wieder, als Lücke und Schlupfloch. Nicht um das Loch abzuschließen, nur um es kurz und schematisch stehen zu lassen, sei noch angemerkt: Kracauers Loch ist nicht Altar der Demut; nicht Ausgang aus der Höhle zur Idee; nicht Passage in die Positivität des Exodus; nicht Abgrund des reinen Akts; weder ein Abseits unkompromittierter Unzugehörigkeit noch Spielwiese eines fröhlichen Partikularismus. Im Loch stehen Passiv und Aktiv, wohl auch Flucht und Waffe-Finden, Seite an Seite 47; jederzeit kann es, und immer wieder mal wird es zur Bestreitung von Ordnungen kommen – von Ordnungen, die z.B. festlegen, wer dankbar sein muss für Toleranz-Gaben der Wohl(an)ständigen, wer brav im Lager oder im Kloster ‚besonnen‘ bleiben muss (wie es den nach ihrem selbstermächtigenden, emphatisch Rechte einfordernden Auszug aus dem Flüchtlingslager Traiskirchen und ihrer Besetzung der Votivkirche 2012/2013 zeitweise im Servitenkloster einquartierten Wiener Refugees seitens der katholischen Kirche empfohlen wurde).

 

Dazu – über große Abstände hinweg, aber dennoch resonnierend – eine filmhistorisch atypische Ermächtigungsszene aus dem Hollywood-Anti-Nazi-Film None Shall Escape (André de Toth, USA 1943), dem ältesten unter den von mir hier referenzierten Filmen, geschrieben von Lester Cole, der einige Jahre darauf im Verlauf der McCarthyschen Kommunist_innenhetze verfolgt wurde. Die Szene zeigt einen Aufruf an versammelte Gefangene, ein weiteres Mal Gefangene von Nazis – wie bei Sturges und Bresson, hier allerdings zum kollektiven Tod Bestimmte. Vor einem Deportationszug in Polen – und schon allein die Thematisierung dieser Dimension des Holocaust in einem zum Massenmord ‚zeitgleichen‘ Hollywood-Spielfilm ist atypisch, hat womöglich gar etwas von einer Singularität 48 – ergreift ein Rabbi das Wort an die vor ihm am Bahnhof versammelte Dorfgemeinde. Und das Wort wird Widerstand – spontaner Aufstand, gewalttätig im Ansatz, verzweifelt in der Ausführung gegen die Maschinengewehr-Salven der SS. Wir Juden, ruft der Rabbi wütend, haben so sehr darauf gehofft und darauf gesetzt, toleriert zu werden, aber: „Is there any greater degradation than to be tolerated? […] We have submitted for too long!“ Aus einem Spielfilmbild des Holocaust lässt sich für Fragen des politischen Handelns wohl kaum ein gerader Schluss ziehen. Insofern sei die toleranzskeptische Dialogstelle als ermächtigende Wortergreifung hier einmal so stehengelassen, ohne ihr etwas hinzuzufügen.

 

Bibliographie

Giorgio Agamben: „Noten zur Geste“. In: ders.: Mittel ohne Zweck. Noten zur Politik. Freiburg, Berlin 2001, S. 53-62.

Giorgio Agamben: Homo Sacer. Die souveräne Macht und das nackte Leben. Frankfurt/M. 2002.

Giorgio Agamben: Die kommende Gemeinschaft. Berlin 2003.

Alain Badiou: „Philosophy and cinema“. In: ders.: Infinite Thought. Truth and the Return to Philosophy. London, New York 2003a.

Alain Badiou: Ethik. Versuch über das Bewusstsein des Bösen. Wien 2003b.

Alain Badiou: „The Democratic Emblem“. In: Giorgio Agamben et al.: Democracy in What State? New York 2011, S. 6-15.

Alain Badiou: Cinema. Cambridge, Malden 2013.

Walter Benjamin: „Zur Kritik der Gewalt“ in: ders.: Angelus Novus. Ausgewählte Schriften 2. Frankfurt/M. 1988, S. 42-67.

Ernst Bloch: Erbschaft dieser Zeit [1935]. Frankfurt/M. 1985.

Judith Butler: Gefährdetes Leben. Politische Essays. Frankfurt/M. 2005.

Judith Butler: Kritik der ethischen Gewalt. Frankfurt/M. 2007.

Stanley Cavell: The World Viewed. Reflections on the Ontology of Film. New York 1971.

Gilles Deleuze: Das Bewegungs-Bild. Kino 1. Frankfurt/M. 1989

Gilles Deleuze: Das Zeit-Bild. Kino 2. Frankfurt/M. 1991.

Gilles Deleuze: Foucault. Frankfurt/M. 1992.

Gilles Deleuze: „Postskriptum über die Kontrollgesellschaften“. In: ders.: Unterhandlungen 1972-1990. Frankfurt/M. 1993, S. 254-262.

Jacques Derrida: Marx‘ Gespenster. Der verschuldete Staat, die Trauerarbeit und die neue Internationale. Frankfurt/M. 1995.

Thomas Elsaesser: „Traumatheorie in den Geisteswissenschaften, oder: die Postmoderne als Trauerarbeit“. In: ders.: Terror und Trauma. Zur Gewalt des Vergangenen in der BRD. Berlin 2007, S. 191-207.

Michel Foucault: Der Gebrauch der Lüste. Sexualität und Wahrheit 2. Frankfurt/M. 1989.

Jürgen Habermas: „Ernst Bloch: Ein marxistischer Schelling“. In: ders.: Politik, Kunst, Religion. Stuttgart 1978, S. 26-33.

Michael Hardt, Antonio Negri: Empire. Cambridge, London 2000.

Siegfried Kracauer: „Die Photographie“ [1927], „Das Ornament der Masse“ [1927], „Kult der Zerstreuung“ [1926]. In: ders.: Das Ornament der Masse. Essays. Frankfurt/M. 1963, S. 21-39, 50-63, 311-316.

Siegfried Kracauer: „The Gold Rush“ [1926], „Chaplins Triumph“ [1931]. In: ders.: Kino. Essays, Studien, Glossen zum Film. Frankfurt/M. 1974, S. 165-167, 176-179.

Siegfried Kracauer: „‚Oktoberrevolution‘. Revolutionärer Realismus.“ [1933] In: ders.: Schriften 5.3. Frankfurt/M. 1990, S. 204f.

Susanne Krasmann: „Jacques Rancière: Politik und Polizei im Unvernehmen“. In: Ulrich Bröckling, Robert Feustel (Hg.): Das Politische denken. Zeitgenössische Positionen. Bielefeld 2010, S. 77-98.

Maurizio Lazzarato: Videophilosophie. Zeitwahrnehmung im Postfordismus. Berlin 2002.

Jacques Rancière: Film Fables. Oxoford/New York 2006.

Jacques Rancière: Ist Kunst widerständig? Berlin 2008.

Jacques Rancière: „Deleuze, Bartleby und die literarische Formel“. In: ders.: Das Fleisch der Worte. Politik(en) der Schrift, Zürich/Berlin 2010, S. 209-235.

Gerald Raunig: Industrien der Kreativität. Streifen und Glätten 2. Zürich 2012.

Gerald Raunig: „Der gefügige Charakter. 17 Thesen zur Modulation der Kreativität“. In: Bildpunkt. Zeitschrift der IG Bildende Kunst 33, 2014, S. 4-6.

Drehli Robnik: „Betrieb und Betrieb – Affekte in Arbeit. Bild-Werdung als Wert-Bildung im Kino“ in: Gabu Heindl (Hg.): Arbeit Zeit Raum. Bilder und Bauten der Arbeit im Postfordismus. Wien 2008, 114-137.

Drehli Robnik: Film ohne Grund. Filmtheorie, Postpolitik und Dissens bei Jacques Rancière. Wien/Berlin 2010.

Drehli Robnik: „Side by side als wirkliche Gegner. Zu politischen Einsätzen im Film-Denken von Kracauers History„. In: Drehli Robnik, Amàlia Kerekes, Katalin Teller (Hg.): Film als Loch in der Wand. Kino und Geschichte bei Siegfried Kracauer. Wien/Berlin 2013, S. 160-182.

Heide Schlüpmann: Öffentliche Intimität. Die Theorie im Kino. Frankfurt/M./Basel 2002.

Heide Schlüpmann: Ungeheure Einbildungskraft. Die dunkle Moralität des Kinos. Frankfurt/M./Basel 2007.

Chris Tedjasukmana: „Die Erfahrung verlorener Möglichkeiten. Kracauer, Benjamin und die queere Geschichtsschreibung des Kinos“. In: Drehli Robnik, Amàlia Kerekes, Katalin Teller (Hg.): Film als Loch in der Wand. Kino und Geschichte bei Siegfried Kracauer. Wien/Berlin 2013, S. 181-201.

Paolo Virno: Grammatik der Multitude. Öffentlichkeit, Intellekt und Arbeit als Lebensformen. Wien 2005.

Paolo Virno: Exodus. Wien 2010.

 

Fimografie

Robert Bresson (R.), Un condamné à mort s´est échappé – Ein zum Tode Verurteilter ist entflohen, F 1956.

John Carpenter (R.), Escape from New York – Die Klapperschlange, USA 1981.

John Carpenter (R.), Escape from L.A. – Flucht aus L.A., USA 1996.

Don Siegel (R.), Escape from Alcatraz – Flucht von Alcatraz, USA 1979.

Robert Siodmak (R.), Escape from East Berlin – Tunnel 28, USA/BRD 1962.

John Sturges (R.), Escape from Fort Bravo – Verrat im Fort Bravo, USA 1953.

John Sturges (R.), The Great Escape – Gesprengte Ketten, USA 1963.

Don Taylor (R.), Escape from the Planet of the Apes – Flucht vom Planet der Affen, USA 1971.

André de Toth (R.), None Shall Escape, USA 1943.

Andy & Larry Wachowski (R.), The Matrix-Trilogie, USA/AUS 1999, 2003.

Rosa Hannah Ziegler (R.), Escape, BRD 2011.

 

Empfohlene Zitierweise

Drehli Robnik: „Die entkommende Gemeinschaft. Wendungen und Grenzen einer Politik der Flucht und Absetzung im Medium der Filmtheorie“ In: escape. Strategien des Entkommens. Onlinepublikation. Hg. von Nicole Kandioler/Ulrich Meurer/Vrääth Öhner/Andrea Seier. http://escape.univie.ac.at/die-entkommende-gemeinschaft/

 

Endnoten

  1.  Vgl. Heide Schlüpmann: Öffentliche Intimität. Die Theorie im Kino. Frankfurt/M., Basel 2002, S. 144ff; dies.: Ungeheure Einbildungskraft. Die dunkle Moralität des Kinos. Frankfurt/M., Basel 2007.
  2. Schlüpmann 2002, S. 90, 157.
  3. Vgl. in dieser Reihenfolge: Alain Badiou: „Philosophy and cinema“ In: ders.: Infinite Thought. Truth and the Return to Philosophy. London, New York 2003a, S. 83-94; ders.: Ethik. Versuch über das Bewusstsein des Bösen. Wien 2003b; ders.: Cinema. Cambridge, Malden 2013, darin: „At bottom, cinema is the last place populated by heroes. Our world is so commercial, so family oriented, so unheroic“ (S. 239).
  4. Thomas Elsaesser: „Traumatheorie in den Geisteswissenschaften, oder: die Postmoderne als Trauerarbeit“. In: ders.: Terror und Trauma. Zur Gewalt des Vergangenen in der BRD. Berlin 2007, S. 191-207.
  5. Gilles Deleuze: Das Bewegungs-Bild. Kino 1. Frankfurt/M. 1989, S. 97. Lustigerweise fragt Deleuze zwei Zeilen davor: „Was ist die Matrix an sich?“ (wörtlich: „herauszufinden versuchen, was die Matrix oder das Bewegungsbild an sich ist“). Das klingt, als wäre eine andere filmische Flucht- und Lösungsphantasie gemeint (bzw. im Voraus angedacht), eine, über die um die Jahrtausendwende viel gegrübelt wurde; um die in der Matrix-Trilogie (Andy & Larry Wachowski, USA/AUS 1999, 2003) zelebrierte Angstlust an der Verkabelung der Welt geht es Deleuze hier allerdings natürlich nicht.
  6. Deleuze 1989, S. 84-102.
  7. Deleuze 1989, S. 89f.
  8.  Vgl. Chris Tedjasukmana: „Die Erfahrung verlorener Möglichkeiten. Kracauer, Benjamin und die queere Geschichtsschreibung des Kinos“. In: Drehli Robnik, Amàlia Kerekes, Katalin Teller (Hg.): Film als Loch in der Wand. Kino und Geschichte bei Siegfried Kracauer. Wien, Berlin 2013, S. 181-201.
  9. Deleuze 1989, S. 99.
  10. Wörtlich schließt Deleuze eine Serie von in die genannte Richtung gehenden Fragen zum Foucault in der Sackgasse der Machttheorie circa 1975 mit dem Satz ab: „Bis hin zum erschütternden Wort in Der Gebrauch der Lüste: ’sich von sich selber zu lösen‘.“ Gilles Deleuze: Foucault. Frankfurt/M. 1992, S. 133.
  11. Michel Foucault: Der Gebrauch der Lüste. Sexualität und Wahrheit 2. Frankfurt/M.
  12. Wörtlich: „Welcher ist also der subtile Ausweg?“ Gilles Deleuze: Das Zeit-Bild. Kino 2. Frankfurt/M. 1991, S. 222.
  13. Vgl. Deleuze 1989, S. 43; ders.: „Postskriptum über die Kontrollgesellschaften“ (1990) in: ders.: Unterhandlungen 1972-1990. (1990) Frankfurt/M. 1993, S. 254-262; ausführlicher dazu: Drehli Robnik: „Betrieb und Betrieb – Affekte in Arbeit. Bild-Werdung als Wert-Bildung im Kino“ in: Gabu Heindl (Hg.): Arbeit Zeit Raum. Bilder und Bauten der Arbeit im Postfordismus. Wien 2008, S. 114-137.
  14. Deleuze 1991, S. 339.
  15. Wörtlich: „Nicht wir machen das Kino, es ist die Welt, die uns als ein schlechter Film vorkommt.“ Deleuze 1991, S. 224. Diese Übersetzung berücksichtigt nicht, dass „faire du cinéma“ im Französischen soviel wie „sich (auffällig oder nervös) aufführen“ bedeutet.
  16. Der Tocotronic-Song heißt „Im Zweifel für den Zweifel“ und war die zweite Single vom Album Schall & Wahn (Vertigo Records 2010).
  17. Deleuze 1991, S. 225f.
  18. Stanley Cavell: The World Viewed. Reflections on the Ontology of Film. New York 1971.
  19. Jacques Rancière: Film Fables. Oxoford, New York 2006; ders.: Ist Kunst widerständig? Berlin 2008; ders.: „Deleuze, Bartleby und die literarische Formel“. In: ders.: Das Fleisch der Worte. Politik(en) der Schrift, Zürich, Berlin 2010, S. 209-235.
  20. Ähnlich die Kritik von Susanne Krasmann in: „Jacques Rancière: Politik und Polizei im Unvernehmen“. In: Ulrich Bröckling, Robert Feustel (Hg.): Das Politische denken. Zeitgenössische Positionen. Bielefeld 2010, S. 77-98, hier S. 92.
  21. Vgl. Rancière 2006, S. 107-12.
  22. Wörtlich: „Aber selbstverständlich ist die Kraft allen starken Denkens auch seine Fähigkeit, seine eigene Aporie aufzustellen, den Punkt, den es nicht überwindet. Und genau das ist es, was Deleuze hier macht, wenn er mit ein und derselben Geste dem Deleuzeismus den Weg bahnt und ihn gegen die Wand fahren lässt.“ Rancière 2010, S. 209.
  23. Ausführlicher: Drehli Robnik: Film ohne Grund. Filmtheorie, Postpolitik und Dissens bei Jacques Rancière. Wien, Berlin 2010, S. 50-67.
  24. Michael Hardt, Antonio Negri: Empire. Cambridge, London 2000; Maurizio Lazzarato: Videophilosophie. Zeitwahrnehmung im Postfordismus. Berlin 2002; Paolo Virno: Exodus. Wien 2010.
  25. Hardt, Negri 2000, S. 304.
  26. Mit dieser Betonung auf der ersten Silbe gesungen von Peter Weibel in „Liebe ist ein Hospital“ von der Wiener Art-Rock-Band Hotel Morphila Orchester (1982).
  27. Vgl. Paolo Virno: Grammatik der Multitude. Öffentlichkeit, Intellekt und Arbeit als Lebensformen. Wien 2005, S. 65-78, 111-134, 150.
  28. Vgl. Walter Benjamin: „Zur Kritik der Gewalt“ in: ders.: Angelus Novus. Ausgewählte Schriften 2. Frankfurt/M. 1988, S. 42-67.
  29. Vgl. Judith Butler: Gefährdetes Leben. Politische Essays. Frankfurt/M. 2005; dies.: Kritik der ethischen Gewalt. Frankfurt/M. 2007.
  30. Vgl. Gerald Raunig: Industrien der Kreativität. Streifen und Glätten 2. Zürich 2012; ders.: „Der gefügige Charakter. 17 Thesen zur Modulation der Kreativität“. In: Bildpunkt. Zeitschrift der IG Bildende Kunst 33, 2014, S. 4-6.
  31. Giorgio Agamben: „Noten zur Geste“. In: ders.: Mittel ohne Zweck. Noten zur Politik. Freiburg, Berlin 2001, S. 53-62.
  32. Giorgio Agamben: Die kommende Gemeinschaft. Berlin 2003.
  33. Vgl. Giorgio Agamben: Homo Sacer. Die souveräne Macht und das nackte Leben.Frankfurt/M. 2002; Agamben 2003, S. 49f.
  34. Agamben 2003, S. 48f.
  35. Siegfried Kracauer: „Das Ornament der Masse“ (1927). In: ders.: Das Ornament der Masse. Essays. Frankfurt/M. 1963, S. 50-63, hier S. 59.
  36. Siegfried Kracauer: „Die Photographie“ (1927). In: ders. 1963, S. 21-39, hier S. 39.
  37. Zumal: Jacques Derrida: Marx‘ Gespenster. Der verschuldete Staat, die Trauerarbeit und die neue Internationale. Frankfurt/M. 1995.
  38. Näher an Kracauers Formulierung: Die metropolitanen Massen, zugewandt einer dem Film und Kino adäquaten Nicht-Form von „Zerstreuung (…), die den Zerfall entblößt, nicht ihn verhüllt“, sind „der Wahrheit nahe“. Siegfried Kracauer: „Kult der Zerstreuung“ (1926). In: ders. 1963, S. 311-316, hier S. 316.
  39. Vgl. Schlüpmann 2007, z.B. S. 86, 97f, 100f, 109, 115.
  40. Vgl. Ernst Bloch: Erbschaft dieser Zeit (1935). Frankfurt/M. 1985.
  41. Jürgen Habermas: „Ernst Bloch: Ein marxistischer Schelling“, in: ders.: Politik, Kunst, Religion. Stuttgart 1978, S. 31.
  42. Kracauer tut dies in seiner am 5. Februar 1933, eine Woche nach Amtsübernahme der Regierung Hitler/von Papen, in Frankfurt am Main erschienenen Rezension von Leo Trotzkis Oktoberrevolution: Lenins „revolutionärer Realismus“, so Kracauers Schlusswort eines seiner letzten Texte vor der Flucht vor den Nazis ins französische Exil, sei „mit dem vieler sogenannter ‚Realpolitiker‘ nicht zu verwechseln. (…) Von ihm betroffen zu sein, wäre der entscheidendste Gewinn, den deutsche Leser aus dem Werk ziehen könnten.“ Siegfried Kracauer: „‚Oktoberrevolution‘. Revolutionärer Realismus.“ (1933) In: ders.: Schriften 5.3. Frankfurt/M. 1990, S. 204f, hier S. 205.
  43. Exemplarisch in Badious antidemokratischem politischen Theoretisieren: Badiou 2003; ders.: „The Democratic Emblem“. In: Giorgio Agamben et al.: Democracy in What State? New York 2011, S. 6-15.
  44. Vgl. Badiou 2013, S. 207. Wörtlich: „‚generic humanity‘ – in other words, (…) humanity beyond its differences“.
  45. Siegfried Kracauer: „Chaplins Triumph“ (1931). In: ders.: Kino. Essays, Studien, Glossen zum Film. Frankfurt/M. 1974, S. 176-179, hier S. 177.
  46. Siegfried Kracauer: „The Gold Rush“ (1926) in: ders. 1974, S. 165-167, hier S. 165f.
  47. Zur side by side-Logik von Geschichte und Erfahrung im Schlusskapitel von Kracauers History, insbes. zu deren politischer Potenzialität, vgl. Drehli Robnik: „Side by side als wirkliche Gegner. Zu politischen Einsätzen im Film-Denken von Kracauers History„. In: Drehli Robnik, Amàlia Kerekes, Katalin Teller (Hg.): Film als Loch in der Wand. Kino und Geschichte bei Siegfried Kracauer. Wien, Berlin 2013, S. 160-182.
  48. Insofern bezieht sich das None Shall Escape des Filmtitels als eine verzweifelte Konstatierung auf das in der Story als solches thematisierte Nazi-Projekt der Ausrottung der Jüdinnen und Juden; es bezieht sich aber auch, als Vorgriff und gewendet zur Drohung, zugleich Tröstung, auf die Unentrinnbarkeit jenes globalen Gerichts – Nürnberg, UNO und Kriegsverbrechensgerichtshof avant la lettre –, das in der Rahmenhandlung dieses 1943 gedrehten Films nach dem von den Alliierten gewonnenen Krieg den deutschen Verbrechen nachgeht und einen Täterlebenslauf ideologiekritisch-soziopsychografisch aufrollt.